Sommer

Ein lichter Garten zwischen niedrigen Mauern
aus trockenem Gras und Glut, die die Erde
sacht bäckt. Ein Licht ist’s, das nach Meer schmeckt.
Du atmest das Gras tief ein. Berührst das Haar
und schüttelst daraus die Erinnerung an das Gras.

Viele Früchte

sah ich fallen, süß und reif, auf vertraute Wiesen
mit weichem Aufschlag. So erschrickst auch du
beim Pulsieren des Blutes. Du drehst den Kopf,
als ob um dich herum ein Lutfwunder geschähe,
und das Wunder bist du. Eine Innigkeit
in deinen Augen, wie heiß auflebende Erinnerung.

Und du lauschst.

Die Worte, die du hörst, erreichen dich kaum.
In deinem ruhigen Gesicht leuchtet ein klarer
Gedanke, der sich dir wie Meerlicht
um die Schultern schmiegt.
Die Stille in deinem Gesicht
legt sich schwer auf das Herz,
und uralter Kummer fließt aus ihr,
wie der Saft von Früchten, die vor langer Zeit herabfielen.

Atlantis, 240 Seiten, € 24,-
Aus dem Italienischen von Dagmar Leupold

»Aufgeblühte Wölkchen tupfen die Hügel / im Spiegel des Wassers«, heißt es in einem der acht mit »Landschaft« betitelten Gedichte.
Cesare Pavese ließ oft Erinnerungen an seine Kindheit im ländlichen Piemont in seinen Texten wiederaufleben. Und doch sind sie alles andere als Heimatlyrik. Vielmehr führte er mit ihnen die Neuerungen der avantgardistischen Literatur Amerikas im faschistisch­verschlossenen Italien ein, wie auch durch seine Essays und Übersetzungen amerikanischer Autoren wie Walt Whitman, John Dos Passos oder William Faulkner. In seiner Lyrik nahm Pavese die modernen Formen seiner Vorbilder auf: durch Verwendung alltäglicher Sprache, expressiver Symbolik und durch Bilderzählungen.
Inhaltlich geht es um viel: den Gegensatz zwischen Stadt und Land etwa, Einsamkeit und Todessehnsucht, Mythologie und die Frauen. Pavese begann mit zwanzig Jahren Gedichte zu schreiben, zu Lebzeiten erschien sein berühmtester Gedichtband „Lavorare stanca (Knochenarbeit)“, zwei weitere nach seinem Freitod mit zweiundvierzig Jahren. Die Schriftstellerin Dagmar Leupold hat ihre feinfühlige Übersetzung dieser und aller weiteren Gedichte Paveses für die vorliegende grundlegend überarbeitet.

Cesare Pavese, 1908 geboren, wuchs in Santo Stefano Belbo, Piemont, und in Turin auf. Als er sechs Jahre alt war, starb sein Vater. Nach dem Philologiestudium Übersetzung von englischer und amerikanischer Literatur. 1935 Verbannung nach Kalabrien. 1938 Eintritt in das Verlagshaus Einaudi. Pavese gilt als Begründer der modernen italienischen Literatur. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen Der Mond und die Feuer (1950) und das Tagebuch Das Handwerk des Lebens (1952). Für Der schöne Sommer erhielt Pavese 1950 den Premio Strega. Im August desselben Jahres, auf dem Höhepunkt seines literarischen Erfolgs, nahm er sich in einem Turiner Hotelzimmer das Leben.

Gedicht: Seite 33

Empfohlen von Klaus Bittner

nach oben