Morgendämmern

Im frühen Licht /
Ein Blick / der mich zerbrach /
Aus Worten fiel ich / sprach und sprach
Und ward und wuchs / Gewächs und lauter Nichts.

Daß DU mich siehst /
Hält mich in kurzer Schwebe /
Läßt wachen mich im Taggewebe /
Ich bin es nicht und bin / wenn DU geschiehst.

Suhrkamp, 117 Seiten, € 22,-

„Im Flechtwerk“, Lehnerts achter Gedichtband, ist ein streng gefügtes Werk. Siebenmal acht Gedichtpaare bilden ein Flechtwerk, eine verwobene Kunst der Fuge. Musikalische Strukturen prägen den Zyklus: von Reimklängen bis zur Motivverarbeitung in verschränkten Zusammenhängen nach dem Vorbild barocker Kantaten.

Doch geht es nicht um formalistische Exerzitien. In ihrer so expressiven wie reflexiven Musikalität erkunden Lehnerts Gedichte die Natur, indem sie ihr antworten. Und mehr noch: Gegen den als Anthropozän maskierten Totalzugriff des Menschen auf seine Umwelt suchen die Gedichte ein Widerlager. Im Übergang zwischen Denken und Wahrnehmung spüren sie dem Geistigen nach: In dem, was „Materie“ scheint, erfahren sie Offenbarung in Pflanzen, Tieren und Dingen, in Tageszeiten und im Spiel der Wellen.

Christian Lehnert, geboren 1969 in Dresden, ist Dichter und Theologe. Er leitet das Liturgiewissenschaftliche Institut an der Universität Leipzig. Sieben Gedichtbücher und zwei Prosabände liegen von ihm im Suhrkamp Verlag vor. 2012 erhielt Lehnert den Hölty-Preis für sein lyrisches Gesamtwerk, 2016 den Eichendorff-Literaturpreis.

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