Gespräch

Dort, wo man sehen kann, dass die Erde

vielleicht wirklich rund ist: ein kleiner Pfad

zwischen idyllischen Feldern hinter der Stadt,

am Horizont das Fragment eines Kirchenturms,

gnadenlos abgeschnitten von einem fernen Hügel,

Erlen über einem trüben Bach,

darin die Kanadische Wasserpest

(die eine invasive Pflanze ist)

und Porzellanscherben von Tellern,

dort spazierte ich manchmal mit Vater (Mama

machte, wie man weiß, keine längeren Ausflüge),

im Herbst oder im Frühjahr, wenn die Bäume

für einen Moment glücklich waren.

Erst jetzt, so scheint mir,

bin ich nahe daran, den richtigen Ton zu finden,

erst jetzt könnte ich mit den Eltern reden –

aber ich kann die Antwort nicht hören.

Adam Zagajewski

Asymmetrie

Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall, Hanser Verlag, 67 Seiten, € 16,-

„Jeden Tag entscheiden wir, ob wir die weiße Flagge der Kapitulation aus dem Fenster hängen oder den von kühnen Farben strotzenden Gobelin eines Gedichts“, sagt Zagajewski. Asymmetrie ist das Leitmotiv seiner neuen Gedichte, ob in der Beziehung zwischen früher und heute, Frieden und Krieg, Polen und Deutschen, Lebenden und Toten. Einige seiner schönsten Gedichte erzählen von der Asymmetrie zwischen dem Sohn und seiner lange verstorbenen Mutter. „Das Wunderbare ist schüchtern geworden, es ist schwer zu finden, schwer zu erinnern, festzuhalten.“ Adam Zagajewski findet das Wunderbare im Alltäglichen und macht daraus große Poesie.

Adam Zagajewski, 1945 in Lemberg geboren und 2021 in Krakau gestorben, studierte Psychologie und Philosophie in Krakau. Er lehrte regelmäßig an der University of Chicago. Adam Zagajewski ist Autor zahlreicher Lyrik- und Essaybände sowie mehrerer Romane und wurde für sein Werk vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Eichendorff-Literaturpreis (2014), dem Heinrich-Mann-Preis der Berliner Akademie der Künste (2015), dem Leopold Lucas-Preis (2016), dem Jean-Améry-Preis für Essayistik (2016), dem Prinzessin-von-Asturien-Preis in der Sparte Literatur (2017) und dem Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste (2019). Seit 2015 war Adam Zagajewski Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei Hanser erschienen zuletzt Verteidigung der Leidenschaft (Essays, 2008), Unsichtbare Hand (Gedichte, 2012), Die kleine Ewigkeit der Kunst (Tagebuch ohne Datum, 2014), Asymmetrie (Gedichte, 2017) und Poesie für Anfänger (Essays, 2021).

nach oben