Wir beide

Draußen bei den stillen, den schönen
Lippenblütlern, ach dieses Wort
(weißt du noch die alte Mühle?)
hab ich von dir, Lippenblütler
sagen gelernt. Du hast

was weiß ich
erzählt von blassen von ins Traurigzart
getauchten Farben.

Ich habe nicht zugehört.
Bloß deine Lippen mir
die weichen angesehen
so dünnhäutig damals so zart
ach, wie denn
verschwindet warum
so eine Lippenkleinigkeit?

Geh nicht fort.
Ich find dir den Ort.

Geschichten hast du erzählt
von Wolken vom herabgefallenen Mond
vom alleinigen Wind
und von der Kraft der Wörter der Töne der Farben.

Dann waren
wie denn verschwinden warum
eingezogen die Lippen ein Schnitt.

Hier steh ich. Hier
neben dir
erloschenem Bündel aus Narben.

Beide lachen wir
lange schon nicht mehr über die Kraft
der Farben.
_____

Friederike Roth

Frauen │ Lyrik
Gedichte in deutscher Sprache

Im Auftrag der Wüstenrot Stiftung
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Anna Bers
Reclam, 879 Seiten, € 28,-

Über 500 Gedichte von Autorinnen aus zehn Jahrhunderten – diese Anthologie eröffnet einen neuen Blick auf Lyrik von, über und unter Frauen. In Auswahl und Aufbau einzigartig nimmt diese Sammlung vier verschiedene Perspektiven ein: Die erste Perspektive bietet Gedichte, die bereits Teil der unterschiedlichsten Kanonbildungen in der Vergangenheit sind; die zweite nimmt literaturgeschichtlich beispielhafte Gedichte in den Blick. Eine dritte Gruppe versammelt Gedichte mit besonderer emanzipatorischer Stärke; eine vierte widmet sich Gedichten von Autorinnen aller Geschlechter, die textuell die Sicht einer Frau einnehmen.
In dieser multiperspektivischen Betrachtung ergeben sich Überschneidungen, aber auch spannende Widersprüche und überraschende Gemeinsamkeiten.

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