Die Hitze im August

Die Samen auf dem Fluss im Ort
der still steht, sich nicht mehr bewegt.
Die Hitze des Augusts,
die Witze
des Stadttrunkenbolds.
Das Glitzern auf den Scheiben auf dem Parkplatz-Planeten,
ein Bus, der aus der Stadt kommt, die Alten entlässt,
das Klimpern der Eiswürfel im Glas unter dem Sonnenschirm,
vom Röhrchen im Kreis bewegt von den zwei Jugendlichen.
Alle Größen Denim-Jeans,
die unsichtbare Ordnung in den Stapeln,
der Duft der asiatischen Fabrik, für immer konserviert.
Der Springbrunnen im Palmenwald des Food-Court, eine Bank
für die Mittagspause, am zentralen Orientierungspunkt.
Aschenbecher hinter Glas, ein Adler, die USA-Flagge,
Han Solo und Prinzessin Lea im Regal, die Blaster im Anschlag.
Das leise Summen vom Maniküre-Stand,
die Pause.
Die Entdeckung eines Seitenarms: Wusstest du,
dass wir auch eine Apparel-Filiale haben? Das elektrische
Gefühl auf der Haut, wenn die Hand über den Stoff streicht.
Ich will aber zurück zum Buchladen! Nein, du darfst nicht allein.
Ein alkoholfreier Cocktail in pinker und violetter Farbe,
aus dem Cocktailkatalog, mit Blick auf die Drehtür, das
Planetenportal,
das die Erinnerung an den Tag dort draußen speichert, bereithält.
Hast du die Feuchttücher unten ins Netz getan?
Der Graben, das Feld hinter dem Zaun, der Blick nach Zawada,
das Lancia-Autohaus, das ein Cousin leitet, der als Kind
Comics verlieh, und Plastiksoldaten.
Die Hitze im August, der stehende Fluss,
die stille Urlaubszeit.
Das Gefühl von seit Geburt bekannter Landschaft.

Parasitenpresse, 66 Seiten, € 12,-

Mit dem Gedichtband „Gebete für meine Vorfahren“ stellt sich Matthias Nawrat erstmals als Dichter vor. Seine Gedichte sprechen von den Vergessenen der Geschichte und von denjenigen unserer Zeit. Sie sind konkret verortet in Berlin, Opole, Hyderabad oder Kabul. Sie sind Fahrten durch Landschaften und das in ihnen verborgene Wissen. Sie handeln von einer Kindheit in Polen, von Flucht und von Heimatlosigkeit. Sie befragen die europäische Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts und die der globalisierten Gegenwart.

Matthias Nawrat wurde 1979 in Opole geboren. Er studierte Biologie in Heidelberg und Freiburg im Breisgau, danach Literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel/Bienne. Er arbeitete als freier Wissenschaftsjournalist. Seit 2012 lebt er als freier Schriftsteller in Berlin. Er veröffentlichte Erzählungen, Essays, ein Tagebuch und die Romane „Wir zwei allein“ (2012), „Unternehmer“ (2014), „Die vielen Tode unseres Opas Jurek“ (2015), „Der traurige Gast“ (2019) und „Reise nach Maine“ (2021). Für seine Bücher erhielt er zuletzt den Literaturpreis der Europäischen Union 2020.

Er ist Preisträger des Fontane Literaturpreis 2023!

Gedicht: Seite 59 + 60

Empfohlen von Klaus Bittner

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