Es musste einmal gesagt werden

Man muss Umwege nehmen, viele, nicht alle,

um das Ziel nicht zu schnell zu erreichen.

Das Ziel?

Man hat weder Zeit noch Gelegenheit,

alle Wege zu nehmen, aber diesen einen hier

kann ich nicht auslassen, er führt geradenwegs

ins Unbestimmte. Eine Schnecke überholt mich,

ein Falter, ein Esel, eine Kiepe saumseliger Begriffe

auf dem Rücken, und zu guter Letzt eine Kröte,

es kann also nichts schiefgehen – oder?

Früher traute ich mich nicht, die großen Worte

in den Mund zu nehmen, Geist und Wahrheit,

das war zu der Zeit, als ich mein Leben schnell hinter

mir lassen wollte. Heute weiß jedes Kind,

dass mit der Wahrheit nicht zu reden ist,

und der Geist hat sich unbekannt verzogen.

Alles blüht, also muss wohl Frühling sein,

jede Ackerwinde ist eine Anspielung aufs Paradies.

Aber ich sehe auch den Schnee, der ins Tal stürzt,

seiner Auflösung entgegen, und den Wunsch

ein anderer zu sein, trägt eine Feldlerche höher

und höher, bis sie das Auge für immer verliert.

Jetzt bloß keine Angst kriegen und stehen bleiben,

denn dann war der ganze Umweg für die Katz.

Michael Krüger

Im Wald, im Holzhaus

Suhrkamp Verlag, 116 Seiten, € 24,-

Als vor einem Jahr die Viren-Katastrophe über uns kam, begann Michael Krüger, mit einer schweren Gürtelrose geschlagen, gerade eine Therapie gegen seine Leukämie. Und weil seine Immunabwehr auf null stand und ihn ein ferner Husten umgeworfen hätte, musste er sich von Menschen fernhalten. Er lebt seither in einem Holzhaus in der Nähe des Starnberger Sees. Von dort hat er seine poetischen Botschaften geschickt, Meditationen aus der Quarantäne, die viele Monate lang im Magazin der Süddeutschen Zeitung abgedruckt wurden und eine große Resonanz fanden.
Fünfzig Blicke auf die Natur und die „Natur“, auf die unmittelbare Umgebung eines eingeschränkten Lebens und über den Horizont hinaus, aber auch Blicke nach innen, auf Vergänglichkeit, Krankheit und Tod.
Und weitere Gedichte aus dieser Zeit enthält der Band, dessen letztes einen Rat bereithält: „Man muss Umwege nehmen, viele, nicht alle, / um das Ziel nicht zu schnell zu erreichen. / Das Ziel? / (…) Jetzt bloß keine Angst kriegen und stehen bleiben, / denn dann war der ganze Umweg für die Katz.“

Michael Krüger wurde am 9. Dezember 1943 in Wittgendorf/Kreis Zeitz geboren. Nach dem Abitur an einem Berliner Gymnasium absolvierte er eine Verlagsbuchhändler- und Buchdruckerlehre. Daneben besuchte er Veranstaltungen der Philosophischen Fakultät als Gasthörer an der Freien Universität Berlin. In den Jahren von 1962-1965 lebte Michael Krüger als Buchhändler in London. 1966 begann seine Tätigkeit als Literaturkritiker. Zwei Jahre später übernahm er die Aufgabe des Verlagslektors im Carl Hanser Verlag, dessen Leitung er im Jahre 1986 übernommen hat. Seit 1981 ist er Herausgeber der Literaturzeitschrift Akzente.
Im Jahr 1972 veröffentlichte Michael Krüger erstmals seine Gedichte, und 1984 debütierte er als Erzähler mit dem Band Was tun? Eine altmodische Geschichte. Es folgten weitere zahlreiche Erzählbände, Romane, Editionen und Übersetzungen. Die Cellospielerin ist sein erster Roman im Suhrkamp Verlag.
Michael Krüger lebt in München.

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